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Offener Brief an Helmut Matthies (idea)

Sehr geehrter Herr Matthies,

als Initiatoren des Besuchs von Brian McLaren fühlen wir uns sehr geehrt von der Aufmerksamkeit, die Sie dem Thema Emerging Church entgegen bringen. Wer hätte das gedacht, dass ein paar kleine Zusammenkünfte ohne große Werbung und mit denkbar knappem Vorlauf quasi aus dem Stand zur Chefsache Ihrer Redaktion werden?

Lassen Sie uns in der Antwort auf Ihren Artikel mit den Gemeinsamkeiten beginnen: Wir alle teilen Ihre Kritik an den Zuständen in den USA ohne jede Einschränkung! Genau deshalb haben wir Brian McLaren eingeladen, der mit Tony Campolo und Jim Wallis in seinem Heimatland diese Zustände seit Jahren anprangert und dafür keinen geringen Preis bezahlt hat. Da haben uns Ihre klaren Worte sehr gefreut, weil wir bisher nie so recht wahrgenommen haben, wie kritisch sie die Folgen der Sozialpolitik der aktuellen US-Regierung bewerten.

Ihre nur zu berechtigte Frage “Wie ist es (…) möglich, dass auf ethischem Gebiet wesentlich schlimmere Missstände herrschen als in Deutschland, wo sich nur 1 bis 2% als evangelikal bezeichnen?” wäre durchaus eine vertiefende Serie in Idea wert! Wir schlagen vor, auch die Haltung der Regierung Bush zu Krieg als Mittel der Politik, Todesstrafe und Ökologie noch in die Problembeschreibung einbeziehen. Sind am Ende zu viele Evangelikale einfach nicht gut für ein Land? Und wenn wir schon dabei sind: Welche evangelikalen Ausbildungsstätten hier zu Lande kooperieren eigentlich mit US-amerikanischen Hochschulen, um ihren Absolventen internationale akademische Abschlüsse zu bieten?

Brian McLaren ist wie fast alle, die sich an der emerging conversation beteiligen, im übrigen explizit nicht mit dem Anspruch unterwegs, anderen Rezepte zu geben oder gar Vorschriften zu machen. Im Gegenteil, er kam nach Europa um bewusst zu hören und zu lernen. Er und Jason Clark waren fast schon zu vorsichtig darin, Dinge zu beurteilen, die sie noch nicht gut genug kennen und verstehen. Während andere Bewegungen über große Kongresse und Bücher in hohen Auflagen Themen, Methoden und Konzepte – durchaus zum Segen für viele Gemeinden – hier vorstellen und verbreiten, dreht sich bei unseren Gesprächen um emerging church nun vieles darum, einen offenen Raum zu schaffen, in dem die ungelösten Fragen, die der tief greifende Wandel der letzten Jahre aufbrechen ließ, ohne Konformitätsdruck und ohne falschen reformatorischen Eifer bedacht werden können. Es ist daher kein Gegensatz zu früheren Ansätzen, wohl aber eine Erweiterung und Ergänzung. Über Willow Creek zum Beispiel habe ich nur positive Aussagen gehört in diesen Tagen – keine Abgesänge. Dafür wird das von Ihnen zu Recht genannte schillernde Attribut “wiedergeboren” und damit verbundene Konzepte von Mission und Gemeindeaufbau rigoros auf den theologischen Prüfstand gestellt.

Sie schreiben: “Es ist kaum eine wirklich neue Erkenntnis dabei gewesen.” Das hatte ja auch niemand vorab suggeriert. Vielleicht hat es uns in Deutschland ja auch nie an Erkenntnis gemangelt. Wohl aber hat es uns an zwei Dingen gefehlt: Erstens an dem Mut, Erkanntes konsequent umzusetzen und dabei alte Zöpfe auch einmal abzuschneiden und ausgetretene Pfade zu verlassen; zweitens an der menschlichen Größe, anderen experimentelle Spielräume einzuräumen, Fehler und Scheitern zu tolerieren und den Nachwuchs oder die Pioniere auch dann zu fördern und zu unterstützen, wenn sie unsere eigenen Vorlieben dabei nicht so bedienen, wie wir es gerne hätten. Auch in diesem (nicht dogmatischen) Sinne gilt doch das reformatorische “ecclesia semper reformanda”. Und da stehen wir Deutsche erst ganz am Anfang, meinen wir.

Wir als Initiatoren von emergent Deutschland haben auf zahlreichen Weblogs und in dem jüngst im Francke-Verlag erschienenen Sammelband “Zeitgeist” eigene theologische und praktische Ansätze zu der Thematik von Kirche in der Kultur der Postmoderne vorgelegt. Dabei spielen die Arbeiten großer deutscher Theologen wie Dietrich Bonhoeffer, Jürgen Moltmann oder auch Karl Barth eine wichtige Rolle. Wenn nun ein internationaler Austausch folgt, dann funktioniert dieser – anders als bei vielen früheren “Importen” – in beide Richtungen. Wir Christen in Deutschland haben schon viel länger Erfahrungen mit weltanschaulichem Pluralismus und fortgeschrittener Säkularisierung als die Kirchen in vielen Gebieten der USA. Die Reaktionen fallen auch bei uns unterschiedlich konstruktiv aus. Vielleicht werden wir auch noch ein bis zwei Generationen brauchen, um zu besseren Antworten zu gelangen – das wäre nicht das erste Mal in der Kirchengeschichte. Die Zeiten eines unilateralen “Exports” aber sind vorbei – egal in welche Richtung.

Das bringt uns zum vorletzten Punkt – in Ihren Worten war das die Frage: “Nimmt man eigentlich noch die Erkenntnisse der eigenen „Väter” zur Kenntnis?“ Ja, selbstverständlich: In der ”emerging church“ werden die christlichen Mystiker des Mittelalters wieder entdeckt, wird über Symbolik und Liturgie diskutiert, entstehen Missionsorden und neue Formen klösterlichen, kontemplativen Lebens, blüht das Interesse am ökumenischen Dialog mit den Ostkirchen in Fragen der Soteriologie neu auf; und von den ”liberalen“ Christen oder den Befreiungstheologen Lateinamerikas lernen wir, unsere Gesellschaft aktiv und engagiert mitzugestalten. Es sind keineswegs nur oberflächliche Anleihen, die hier gemacht werden.

Zuletzt: Sie konstruieren einen für unser Empfinden unhaltbaren und irreführenden Zusammenhang zwischen den bedauerlichen Finanznöten einiger Organisationen und neuen Bewegungen, von denen Sie dann nur ”Emerging Church“ explizit nennen. Es hat uns nachdenklich gemacht, dass Sie hier wirtschaftlich und nicht theologisch argumentieren. Schließlich existiert hier gar kein Verein und kein Werk, es werden keine Spenden gesammelt und keine aufwändigen Kongresse veranstaltet, die große Summen verschlingen.

Die Löcher in den Kassen waren also schon längst da. Wie kommen Sie also zu dem Vorwurf, dass einige hier verantwortungslos anderen in den Rücken fallen? Die Studientage über Emerging Church waren mit dem Leitungskreis der Lausanner Bewegung/Koalition für Evangelisation in Deutschland abgestimmt. Diesem Kreis gehören verantwortlich denkende, international vernetzte und keineswegs unkritische Vertreter aus Kirchen und Werken an. Wir haben auch darüber hinaus vieles unternommen, um dieses Gespräch in die kirchliche Landschaft hier zu integrieren.

Es wird im kommenden Jahr sicher eine Fortsetzung der Gespräche der letzten Woche geben. Sie sind herzlich eingeladen, sich dann selbst ein Bild zu machen, um nicht auf Meinungen aus zweiter Hand angewiesen zu bleiben. Ob Emerging Church wirklich eine ”Bewegung“ wird, halten wir noch nicht für ausgemacht. Die Kirchen in Deutschland wird Gott reformieren – oder auch nicht. Aber vielleicht hat er, wenn er es tut dafür mehr als nur ein einziges Modell im Sinn.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen in dieser adventlichen Zeit der Erwartung das wache Bewusstsein dafür, dass Gottes Erscheinen in dieser Welt unsere Erwartungen und Vorstellungen – ob konservativ oder ”emergent“ – oft in überraschender Weise auf den Kopf stellt.

Mit freundlichen Grüßen,

Peter Aschoff, Dagmar Begemann, Daniel Ehniss, Tobias Faix, Tobias Künkler, Alex Kupsch, Dominik Sikinger, Jens Stangenberg, Björn Wagner, Daniel Weber

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