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Was sehen wir, wenn wir Glauben? – Pt. 3 der gesenkte Blick

Im letzten Post endeten wir mit der Bemerkung, dass es Haltungen gibt, die unseren Blick trüben. Wie kann so eine Haltung aussehen, welche unsere Augen von der Fülle des Lebens ablenken?

Über  Kain und Abel in Gen.4 heißt es: „Gott sah auf Abel und Kain und sein Opfer sah er nicht“. Man kann sehr viel über diesen Vers sagen. Er zeigt das Bedürfnis auf, gesehen zu werden, Wertschätzung zu erfahren für das was man tut und dadurch so eine Art Rechtfertigung für seine Existenz zu erfahren.  Sei es durch die Arbeit, durch Beziehungen oder wie hier: durch Religion. Gott steht in diesem Vers für den „großen Anderen“, die Instanz, die unser Leben aus der Vogelperspektive betrachtet und an die wir uns wenden, um Bestätigung zu erfahren. Man kann hier auch andere Wörter einsetzen: „die Gesellschaft“, der Vater etc. Und dieser Vers beschreibt das Gefühl, übersehen zu werden. Es beschreibt eine bestimmte Haltung zum Leben: die Haltung der zu-kurz-Gekommenen, der ewig Übersehenen. Das Gefühl, dass sich einstellt, wenn man sich von einer anonymen Macht ständig benachteiligt sieht. Nichts von dem, was man tut, wird gewürdigt. Immer gewinnen die anderen.
Und das entspricht ja einfach unserer Lebenserfahrung: es scheint Menschen zu geben (und das sind nicht immer die sympathisten), die vom Leben alles bekommen haben, zumindest wenn man nicht so genau hinschaut:
„God gave you style and gave you grace.
God put a smile upon your face.“

Wie reagierte Kain?

„Da wurde Kain sehr zornig und sein Blick senkte sich“.

Die Augen werden grau (oder grün oder gelb vor Neid, je nach Sprache) und die Augen bleiben fest am Boden verhaftet. Der gesenkte Blick ist eine Geste der Verschlossenheit, in der man sich unempfindlich macht gegen alle Impulse von außen.
Eine Haltung, die unseren Blick von der Fülle des Lebens auf das lenkt, was uns gerade fehlt. Und eine Haltung in der dann eine Idee reifen kann: die Idee desjenigen, der sich immer als ohnmächtiges Opfer fühlt, hinfort nicht mehr Opfer zu sein. Der Gedanke, des zu ungerecht Benachteiligten, nun endlich etwas zu unternehmen und seinen Konkurrenten aus dem Weg zu schaffen. In den Momenten, in denen sich der Blick senkt, entsteht ein geschlossenes Weltbild. Ein Weltbild, in dem klar ist, wer das unschuldige Opfer ist und wen nun endlich der Zorn des Gerechten treffen soll.

Man denkt hier an die gekränkte und sich ihrem gerechten Zorn ergebenden Menschen, die auf PEGIDA Demos interviewt wurden. Oder man denkt an gewalttätige Konflikte, wie der in Ruanda, bei denen eine Gruppe, die jahrzehntelang unterdrückt wurde einen Völkermord an ihren ehemaligen Unterdrückern verübte.

In der Geschichte spricht nun Gott mit Kain:
„Warum bist du zornig und warum ist dein Blick gesenkt?
Ist es nicht so: Wenn du gut tust, kannst du frei aufblicken?“

Man muss diese Frage umdrehen. „Ist es nicht so, dass sich der Blick automatisch ’senkt‘, wenn man Ungerechtigkeit, Ausgrenzung und Kränkungen erlebt? Und, dass man sich dem Leben nur öffnen kann, wenn man selbst Wertschätzung und Anerkennung erlebt hat? Wenn man sich also wertschätzend wahrgenommen fühlt?“

Hier kommt wieder eine politische Dimension der Wahrnehmung herein: nicht jeder hat die gleiche Chance einfach nur „mit offenen Augen“ durch’s Leben zu laufen. Manche Menschen werden auf Grund des Ortes, an dem sie stehen in der Gesellschaft (oder ihren Familien etc.) automatisch bitter und hart. Manche Menschen haben keine Chance einen positiveren Blick auf das Leben zu werfen aufgrund der Kränkungen, die sie in dieser Gesellschaft erlebt haben. Aber hier zeigt sich auch: diese Verbitterung, der Neid, das Selbstmitleid und das Gefühl zurückgesetzt zu sein, sind keine unschuldigen Affekte. Es sind vielmehr Stimmungen in denen Hass entstehen kann, Stimmungen aus denen man heraus Morde begeht und rechte Parteien wählt und sich seinem gerechten Zorn hingibt. Es sind zerstörerische und selbstzerstörerische Stimmungen.

Es zeigt sich also, dass unser Blick nicht „natürlicherweise“ einfach offen und unverstellt ist, sondern zumeist in irgendeiner Weise schief ist. Und neben der Aufgabe der politischen Kritik an Systemen, die Menschen in so einer Weise kränken, geht es auch darum, einen anderen Umgang mit diesen Kränkungen zu ermöglichen. So muss manchmal unser Blick befreit werden. Auch dann, wenn man sich (zu recht oder unrecht) als benachteiligt, ausgegrenzt oder ohnmächtig erlebt, muss der Blick befreit werden, um diese Ohnmacht und dieses Weltbild des Mangels hinter sich lassen zu können. Das geschieht dann, wenn wir uns selbst wertschätzend wahrgenommen wissen.

Und hier muss nun auch endlich das Gottesbild in diesem Text korrigiert werden. Aus protestantischer Perspektive muss gesagt werden: Gott ist exakt kein „großer Anderer“, dessen Wertschätzung wir durch unser Wohlverhalten, durch unser Gutsein und unseren aufopferungsvollen (oder ‚bewussten‘) Lebensstil gewinnen müssen. Gott lässt uns seine unverdiente Anerkennung zukommen z.B. im Abendmahl oder in Form der vielen „kleinen Anderen“, die uns umgeben. Und das ist eine wertschätzende Wahrnehmung, die uns sowohl in unserer Wirklichkeit sieht und uns gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, unseren Blick zu weiten.

Vielleicht ist das auch eine erste Definition von Glauben: Sich von Gott wertschätzend wahrgenommen wissen und daraufhin die Welt mit einem ungetrübten Blick sehen zu können. 

Oder wie es die wunderbare Nadia Bolz-Weber ausdrückte: „Faith is relaxing in way you relax in the presence of someone you are certain is fond of you.“

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