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Abschied vom bürgerlichen Christentum (5)

Im vierten Teil der Reihe hatte ich beschrieben, dass die christliche Bewegung das bürgerliche Koordinatensystem erst hinter sich lässt, wenn sie sich als real existierende Bewegung von Menschen entdeckt, anstatt sich als Heilsanstalt oder Publikum zu verstehen. Heute gibt es noch ein paar Überlegungen zu den Mustern, auf denen solch eine Bewegung beruht.

Die anderen Teile der Reihe: | Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 |

Selbstorganisation und Verbindlichkeit dritter Art

Traditionelle Sozialgebilde setzen ihre Interessen und Regeln mit mehr oder weniger offenem Druck durch; im christlichen Bereich ist das Kreuz das zusammenfassende Zeichen für die Opfer dieses Prinzips. Im bürgerlichen Zeitalter stehen diese älteren Organisationsformen im Konflikt mit der neuen Marktstruktur, die die Macht- und Gewaltverhältnisse abstrakter und schwerer durchschaubar werden lässt. Ihr Siegeszug scheint bisher noch ungebrochen. In der Marktbeziehung kontrollieren sich die Individuen eher selbst in Anpassung an die Marktregeln. Sie geht deswegen häufiger mit dem Gefühl der Freiheit einher. Beide Male haben die Beteiligten aber nicht die Verfügung über die Beziehungen und ihre Zugehörigkeit dazu.

Christliche Gruppen können keine dieser Mechanismen nutzen, um ihren Zusammenhalt zu begründen; und noch viel weniger, um die Gesellschaft insgesamt zu verchristlichen. Das grandiose Scheitern der die Gesellschaft dominierenden abendländischen Christenheit ist ein nicht zu übersehendes Zeichen dieser Unmöglichkeit.

Christliche Gemeinschaften können nur nach dem Prinzip der Selbstorganisation aufgebaut sein, wie auch immer das im Einzelnen gestaltet ist. Jesus hat in einer patriarchalischen Welt beharrlich eine vaterlose Organisationsstruktur eingefordert. Auf der anderen Seite ist die Marktstruktur (was auf eine Servicekirche hinauslaufen würde) ebenfalls nicht angemessen. Christliche Verbindlichkeit geht weit hinaus über das Muster von Leistung und Gegenleistung.

Selbstorganisation funktioniert nur mit Freiwilligkeit und selbstverantworteter Verbindlichkeit, die prinzipiell nie von außen erzwingbar ist. Sie erfordert die Lösung von ungeliebten, aber vertrauten Kontrollstrukturen. Stattdessen braucht sie eine dritte Art von Verbindlichkeit, die nicht der Marktlogik folgt, aber auch nicht von einem Machtträger erzwungen wird.

Diese dritte Art von Verbindlichkeit ist so ungewöhnlich, dass sie schnell mit den ersten beiden verwechselt wird, und zwar von Menschen innerhalb wie außerhalb des christlichen Bereichs. Sie braucht Menschen, die in Freiheit verankert sind. Schon Bonhoeffer hat beobachtet, wie Menschen eher bereit sind, für eine aufgezwungene Verantwortung (sprich: Dienst in der Wehrmacht) sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen als für eine frei gewählte Verantwortung (sprich: Widerstand gegen den NS).

Erst christliche Gemeinschaften, die nach dem Muster der frei gewählten, aber verbindlichen Verantwortung arbeiten, lassen den bürgerlichen Horizont hinter sich und konstituieren sich als Akteure, die relevante Zeichen des Evangeliums in der Gegenwart sind.

Das ist jetzt natürlich eher Aufgabenbeschreibung als Lösung. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns über die Aufgabe einig wären und sie angehen würden. Die Serie ist länger geworden als geplant. Dank allen, die bis hierher mitgegangen sind; und hoffentlich denken wir demnächst bei anderer Gelegenheit gemeinsam weiter.

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